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Gerrit Thomas Rietveld


Foto: privat, 1962. Quelle: nl.wikipedia (cc)

Persönliche Daten
Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
Auszeichnungen und Ämter
Mitgliedschaften
Vita
Stellenwert
Werke
Sekundärquellen
Anmerkungen
Persönliche Daten
* 24.06.1888 - † 26.06.1964
Geschlecht: m
Geburtsort: Utrecht
Land: Niederlande
Sterbeort: Utrecht
Land: Niederlande
Religionsbekenntnis: Evang.
Familiäres Umfeld: Vater: Johannes Cornelius R., Tischler
Mutter: Elisabeth van der Horst
Ehe (1911) mit Vrougien Hadders aus Assen, NL
6 Kinder (2 Töchter, 4 Söhne), Jan R., Architekt
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Ausbildung, Studienreisen, internationale Aufenthalte
1899-1906Lehrling in der väterlichen Tischlerwerkstätte
1904-1908Abendkurs bei der Vereinigung „Das Utrechter Museum für Kunstgewerbe“ van Kunstnijverheid
1906Abendkurse bei Pieter Klaarhaner (Mitglied der Amsterdamer Schule)
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Beruflicher Werdegang, Lehrtätigkeit
1907-1911Zeichner im Atlelier der Juwelierfirma C.J. Begeer, Utrecht, NL
ab 1911Möbelbauer und Kunsttischler
1917eigene Tischlerwerkstatt
1918Kontakte mit den Gründern der De Stijl-Bewegung
seit 1919Mitarbeit an der Zeitschrift „De Stijl“
ab 1919selbständiger Architekt in Utrecht, NL
ab 1928als Architekt in Holland, Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich und Belgien tätig
ab 1934Beschäftigung mit dem Möbelbau
1944-1955Dozent für Architektur an Hochschulen in Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Arnheim, NL
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Auszeichnungen und Ämter
1963Ehrenmitglied der Bondvan Nederlandse Architecten
1964Ehrengrad der Technischen Hochschule, Delft
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Mitgliedschaften
ab 1911Künstlervereinigung Kunstiefde, Utrecht
ab 1919Künstlervereinigung „De Stijl“
1928-1934Gründungsmitglied an der CIAM
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Vita
Mit 11 Jahren begann Rietveld in seiner Geburtsstadt Utrecht, in der Möbelwerkstatt seines Vaters zu arbeiten. Nachdem er dort zum Schreinermeister ausgebildet worden war, ging er in ein Schmuckstudio als Zeichner in die Lehre. 1911 machte er sich als Kunsttischler selbständig. Neben der 8-jährigen Tätigkeit als Kunsttischler bildete er sich in Abendkursen im Bauzeichnen aus. 1918, ein Jahr nach der Gründung seiner Möbeltischlerwerkstatt, nahm Rietveld Gerard van der Groenekan in seine Werkstatt auf, der viele von seinen berühmtesten Möbeln ausführte.

1917–18 entstand der Prototyp der „Rot-Blau“-Stuhls, ursprünglich ohne Lackierung entworfen, bemalte Rietveld 1921 diesen revolutionären Stuhl, nachdem er in engen Kontakt mit der De Stijl-Bewegung gekommen war. Die Künstlergruppe De Stijl formierte sich um eine gleichnamige niederländische Zeitschrift für Bildende Kunst, die von Theo van Doesburg herausgegeben wurde und zwischen 1917 und 1932 erschien. Die Gruppe erstrebte geometrische Klarheit und strenge Harmonie, indem sie ihre äußerst vereinfachte Gestaltungsweise auf die Grundelemente der Senkrechten und der Waagrechten sowie auf die Farben Rot, Blau, Gelb, Schwarz, Weiß und Grau beschränkte. 1919 gehörte Rietveld zu den ersten Mitgliedern von „De Stijl“, wobei sein Name zum ersten Mal im Juliheft auftauchte, in dem ein Kinderhochstuhl von ihm veröffentlicht wurde. Der „Rot-Blau“-Stuhl wurde 1923 auf einer Gruppenausstellung am Bauhaus gezeigt und von der Stijl-Gruppe als Manifest gefeiert. Sein berühmter „Zig-Zag“-Stuhl (1932—34) war eine Reaktion auf Theo van Doesburg, der 1924 dafür plädiert hatte, die Spannung zwischen senkrechten und horizontalen Elementen durch eine Diagonale aufzulösen. Rietveld experimentierte auch mit Entwürfen von Möbeln aus Spannplatten und Sichtholz, die dann von Metz & Co in Amsterdam hergestellt wurden. Während der Weltwirtschaftskrise entwarf er Möbel aus Kistenlatten, um den Bedarf an preiswerten Möbeln zu decken. Mit seinem allerletzten und reduziertesten Stuhlentwurf, dem „Seltman“-Stuhl von 1963, kehrte Rietveld zum Massivholz und seinem ursprünglichen geometrischen Formalismus zurück.

1923–24 entstand Rietvelds erste architektonische Arbeit. Er baute in Utrecht für Truus Schröder, eine 35-jährigen Anwaltswitwe, und ihre drei Kinder das Haus Schröder und stellte auch die gesamte Einrichtung her. Als Rietveld Truus Schröder-Schräder kennen lernte und mit ihr zusammenzuarbeiten begann, entfernten er und seine Frau, mit der er sechs Kinder hatte, sich langsam voneinander. Es wird behauptet, dass Gerrit und Truus eine Beziehung hatten, was aber nicht belegt ist. Die eigenwillige Bauherrin, ausgebildete Apothekerin, Innenarchitektin , Mitentwerferin, De Stijl-Mitglied und Gründerin der Rietveld-Schröder-Haus-Stiftung, lebte bis zu ihrem Tod in diesem „anstößigen“ Haus. Sie überlebte Rietveld um 20 Jahre und starb 95-jährig. Das Rietveld-Schröder-Haus ist heute eine Ikone der modernen Baukunst und seit 2000 Weltkulturerbe der Unesco.

1931–34 entwarf Rietveld eine Reihe wichtiger Wohnbauten, wie die beiden dreistöckigen Wohnhauszeilen in der Erasmuslaan in Utrecht (gegenüber dem Haus Schröder) und die ebenfalls dreistöckigen Reihenhäuser für die Wiener Werkbundausstellung, Wien 13 (1929–32). Bis in die fünfziger Jahre hinein beschäftigte sich Rietveld mit Entwürfen für Kleinst- und sogenannte „Kernwohnungen“.

Während der deutschen Besatzung der Niederlande konnte Rietveld kaum arbeiten und schloss sich der Widerstandsbewegung an. Nach der Befreiung des Landes beteiligte er sich sofort an der kulturellen Reorganisation. Von 1944 bis 1955 lehrte er an der Amsterdamer Architektur-Akademie und wandte sich in seiner Arbeit hauptsächlich der Architektur zu. Er baute nicht nur Privathäuser, sondern wurde auch mit wichtigen und großen öffentlichen Aufträgen betraut. Herausragend sind der Niederländische Pavillon für die Kunstbiennale in Venedig, der Pavillon für die Ausstellung von Skulpturen im Freien im Park Sonsbeck in Arnheim, bei denen eine gelungene Neuinterpretation der De-Stijl-Thematik zu erkennen ist, wie das Piedestal für das Foucaultsche Pendel im UN-Gebäude in New York. Rietveld baute Kirchen, Fabriken, Schulen und Kulturhäuser. Das Rijksmuseum Vincent van Gogh in Amsterdam (fertiggestellt von J. van Dillen und J. van Tricht) (1963–73) ist sein letzter herausragender Bau.

1964 starb Gerrit Thomas Rietveld im Alter von 76 Jahren in Utrecht.
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Stellenwert
Rietvelds eigentliche Tätigkeit war die eines Möbelgestalters und wenn er sich auch in der Folgezeit zu einem anerkannten Architekten entwickelte, blieb seine Ausbildung doch die eines Handwerkers, der Möbel baute. Unter den Möbeln bevorzugte Rietveld den Stuhl, einen Gegenstand, der ohne Zweifel architektonische Aspekte stimuliert, andererseits jedoch große Probleme aufwirft. Laut Rietveld handelt es sich bei einem Stuhl um ein Gebäude in reduziertem Maßstab mit Rhythmen, Spannungen, Flächen, Strukturen, Dreidimensionalität und Dynamik. Dies war sicher der Grund, dass der Stuhl im 20.Jh. für die großen Architekten von Mackintosh über Wright bis Le Corbusier und Breuer das Thema blieb.

Das künstlerische Werk Rietvelds lässt sich vereinfacht in drei Phasen gliedern: Die erste, eng mit der künstlerischen Bewegung „De Stijl“ verbunden, begann mit dem berühmten „Rot-blauen Stuhl“ und endet mit dem Bau von Haus Schröder in Urtecht (1924). Diese beiden Entwürfe begründeten Rietvelds Ruhm. Mit dem Bau des Hauses Schröder wollte Rietveld sich von traditionellen Formen der Baukunst lösen. Das Gebäude wirkt durch die asymmetrische Aufteilung der Wandflächen, durch die farbige (Rot, Gelb, Blau) Vertikal- und Horizontalgliederung und die großen Fenster fast durchlässig. Das außergewöhnliche Äußere setzt sich auch im Inneren fort. So sind im Obergeschoss die Seitenwände der Zimmer verschiebbar, wodurch ein großer offener durchgehender Raum entsteht. Ein Prototyp des offenen Grundrisses. Durch die Balkone an allen offenen Seiten ist ein Bezug zu innen und außen gegeben. Ein solches Wohnhaus konnten die Kleinstädter damals nur angewidert betrachten. Aber für Schröder und Rietveld war ein Haus keine Geschmacks-, sondern eine Gesinnungsfrage. Ein weiterer interessanter Bau aus dieser Periode ist ein Haus mit Garage für einen Hausmeister und Chauffeur von 1927. Es besteht aus vorfabrizierten Zementplatten, die in bemalte Stahlträger eingesetzt sind. Wieder einmal war Rietveld einer der ersten, der – mit einem neuen Produkt – einen Beitrag zur Vorfabrikation im Bauwesen leistete.

Die zweite Phase entsprach der internationalen Entwicklung in der Architektur. Nach dem Ende von „De Stijl“ schloss Rietveld sich dem Rationalismus an und wandte seine Aufmerksamkeit der sozialen Rolle der Architektur zu. Mit großem Einsatz ging er die Probleme der Minimalwohnung an. In den Reihenhäusern in Utrecht (1928) handelt es sich um preisgünstige Häuser für Arbeiter. Das Erdgeschoss enthält Küche, Aufenthaltsraum, Essecke und ist mit einem kleinen Garten verbunden. Darüber sind auf zwei Ebenen die Schlafzimmer angeordnet. Die Konstruktion besteht aus einer Backstein-Stahl-Verbindung und sieht große Fensteröffnungen vor. Dadurch entstehen besonders gut belichtete Arbeitsräume. Das Licht ist so gut im Raum verteilt, dass sich der Kontrast zwischen Licht und Schatten mindert und das Auge nicht immer erneut adaptieren muss. Dieses System wurde später in der Industrie- und Schulhausarchitektur angewendet. 1931 wurde Rietveld aufgefordert, Häuser für die Werkbundsiedlung in Wien zu entwerfen (Wien 13, Woinovichgasse 14–20). Die Wahl von Rietveld aus der “De Stijl Gruppe” erschien im Vergleich zu den in Stuttgart vertretenen Holländern Mart Stam und Jacobus J. Pieter Oud als naheliegend, da im Gegensatz zu der bei Oud und Stam spürbaren protestantischen Härte, Rietveld mit seiner Vorliebe für Transparenz, Beweglichkeit und Leichtigkeit den Anschauungen von J. Frank (dem Begründer der Werkbundsiedlung) vermutlich näher stand. Auch beim Haus für die Werkbundsiedlung lag das Problem beim Minimalraum. Die Grundfläche für jede Einheit beträgt lediglich 4 x 8 m. Die auf verschiedenem Niveau gelegenen Zimmer sind durch eine Wendeltreppe verbunden.

Rietvelds dritte Phase war bestimmt von der internationalen Anerkennung Ende der 50er Jahre, als seine architektonisch-künstlerische Bedeutung neu entdeckt wurde. Vor seinem Tode konzipierte er noch einige städtebauliche Entwürfe. Er versuchte, gemeinsam mit seinen Schülern, die Komplexität dieser Fragen in ihrem Bezug zur Technologie und den Sozialwissenschaften zu analysieren.

Als Architekt und Möbeldesigner zählz Gerrit Thomas Rietveld zu den wichtigsten Vertretern der 20er Jahre, zur Generation von Mies van der Rohe, Le Corbusier und Walter Gropius.
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Werke

WOHN-/GESCHÄFTSBAUTEN:
1920-1922Juweliergewschäft G.Z.C., Amsterdam, NL
1924Haus Schröder, Utrecht, NL
1927-1928Garage mit Chauffeurswohnung, Utrecht, NL
ab 1928Reihenhäuser, Utrecht, NL
1930-19324 Reihenhäuser, Werkbundsiedlung, Wien 13, Woinovichgasse 14-20
1930-1934Reihenhäuser, Erasmuslaan, Utrecht, NL
1951Haus Stoop, Velp, NL
1953Wohnanlagen, Utrecht, NL
1954-1956Wohnbaukomplex, Hoogravan, NL
1958-1964diverse Privathäuser in den Niederlanden

ÖFFENTLICHE BAUTEN:
1936Kino Vreeburg, NL
1953-1954Niederländischer Pavillon, Biennale Venedig, I
1954Skulpturenpavillon, Sonsbeek Park, Arnheim, NL
1954-1957Museum „De Zonnehof“, Amersfoort, NL
1956Textilfabrik De Ploeg, Bergeijck, NL
1956Ausstellungshalle, Utrecht, NL
1956-1964Kunstwissenschaftliches Institut, Amsterdam, NL (1968 Fertigstellung)
1958-1963Kunstakademie, Arnheim, NL
1958-1962Schule, Badhoevedorp, NL
1963-1964Vincent van Gogh-Museum, Amsterdam, NL (Fertigstellung 1972 von J. van Dillen, J. van Tricht)

INNENRAUMGESTALTUNG/DESIGN:
1919Kinderhochstuhl
1921Rot-blauer Stuhl (bemalt)
1921lineares Buffet
1923asymmetrischer Berliner Stuhl
1923asymmetrisches Diwantischchen
1923„Militärisches Mobiliar“
1927-1930neusachliche Bügelstühle
1932Zigzag-Stuhl
1934Lattenkistenmobiliar
1963„Setman“-Stuhl
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Sekundärquellen

LITERATUR:
D. Baroni: I mobili di Gerrit Thomas Rietveld. Milano 1977
D. Baroni: Ursprung des modernen Möbels, das Werk Rietvelds. Stuttgart 1979
F. Bless: Rietveld 1888-1964. Amsterdam/Baarn 1982
Th.M. Brown: The Work of Gerrit Rietveld, Architect. Cambridge/Utrecht 1958
A. Buffinga: Gerrit Thomas Rietveld. Amsterdam 1971
O. Büller, Overy, Mulder: Rietveld Schröder House. Wiesbaden 1988
W. Gropius / L. Moholy-Nagy: Internationale Architektur. München 1925
M. Küpper / I. Zijl: Gerrit Rietveld. Centraal Museum Utrecht, 1992
J. Niemeijer: Rietveld Furniture. Utrecht 1986
H. Rens: Gerrit Rietveld. Utrecht 1979
C.P. Warncke: De Stijl. Köln 1990

HINWEISE AUF WERKE:
Der Aufbau
35.1980, Nr.12, S.395ff (Die Internationale Werkbundsiedlung)

Innendekoration
42.1931, S.280 (Blick auf Platz der Werkbundsiedlung) / S.310 (Werkbundsiedlung)

Moderne Bauformen
31.1932, S.450f (Werkbundsiedlung)

NACHSCHLAGEWERKE:
Achl. III/2; Dehio 3

LEXIKA:
AKL (Registerband); ThB; Turner XXVI, Vollmer
Enciklopedija Likovnih Umjetnsoti. Zagreb IV, 1966
G. Hatje: Lexikon der Architektur des 20.Jh.s. München 1966
Lexikon der Kunst, Malerei, Architektur, Bildhauerkunst. Erlangen 1994
N. Pevsner / H. Honour / J. Fleming: Lexikon der Weltarchitektur. München 1992

INTERNETLINKS:
htp://www.sfg-b.ch/d/4/tgprojekt/20erJahre/Bibliothek/DeStijle/RietveldBio.htm
htp://deu.archinform.net/arch/239.htm?ID=2YohCeGXiZxmbrVL
htp://www.schaetze-der-welt.de/denkmal.php?id=263
http://www.centraalmuseum.nl/rietveld/index.php
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Anmerkungen
Eingegeben von: Petra Schumann
Eingegeben am: 17.12.2003
Zuletzt geändert: 16.02.2007
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